Zu den Trockennasenaffen (Haplorhini, der griechische Name bedeutet soviel wie "einfache Nase"), zählt man alle Mitglieder der Tarsiiformes (Koboldmakis) sowie alle Eigentlichen Affen (Anthropoidea, auch Simiiformes). Bei den Anthropoidea unterscheidet man zwischen Catarrhini (Altweltaffen oder Schmalnasenaffen) und Platyrrhini (Neuweltaffen oder Breitnasenaffen).

Trockennasenaffen gelten als höher entwickelt als die Feuchtnasenaffen (Strepsirrhini, die andere Unterordnung der Primaten), die sich vor 63 Mio. Jahren getrennt haben.

Die Trockennasenaffen, einschließlich Koboldmakis, haben alle während ihrer Evolution die Fähigkeit verloren, körpereigenes Vitamin C zu produzieren, währen dies bei den Feuchtnasenaffen und den meisten anderen Säugetieren nicht der Fall ist [1].


Berberaffen, Upper Rock, Gibraltar
Berberaffe vom Upper Rock, Gibraltar
Die Trockennasenaffen (Haplorhini, Haplorrhini) - biologie-seite.de
Das Bolivianische Totenkopfäffchen (Saimiri boliviensis) aus Südamerika ist genau wie der Makake ein Trockennasenprimat.

Die Oberlippe der Trockennasenaffen ist im Gegensatz zu den Feuchtnasenaffen nicht direkt mit der Nase oder dem Zahnfleisch verbunden, was eine breite Palette an Gesichtsmimik zulässt. Das Verhältnis der Gehirngröße zur Körpergröße ist deutlich höher als bei den Feuchtnasenaffen und ihr primärer Orientierungssinn ist das Sehen. Im Gegensatz zu den Feuchtnasenaffen weisen Trockennasenaffen eine post-orbitale Platte auf, das ist eine knöcherne Wand hinter dem Auge. Die meisten Arten sind tagaktiv (mit Ausnahme der Koboldmakis und Nachtaffen) und verfügen über trichromatisches Farbensehen. Ihre Hände und Füße sind generell angepasst, mit Spezialisierungen nur für die Fortbewegungen, wie z. B. die hakenartig geformten Hände der Gibbons und Orang-Utans für das Hangeln oder der menschliche Fuß für das Gehen auf zwei Beinen (Bipedie).

Mit Ausnahme der Koboldmakis ist bei allen Weibchen der Trockennasenaffen die Gebärmutter ein einheitliches Hohlorgan (Uterus simplex), während Koboldmakis und Feuchtnasenaffen eine zweihörnige Gebärmutter (Uterus bicornis) besitzen. Die meisten Arten gebären in der Regel ein einzelnes Junges, während bei Marmosetten und Tamarinen Zwillings- oder Drillingsgeburten der Normalfall sind. Trotz ähnlich langer Tragzeit sind die Neugeborenen der Trockennasenaffen relativ viel größer als die Neugeborenen der Feuchtnasenaffen, jedoch ist die Nachkommenschaft der Trockennasenaffen über einen längeren Zeitraum von der Fürsorge der Mutter abhängig. Den Grund dieses Unterschieds in Größe und kindlicher Abhängigkeit sehen Wissenschaftler in der erhöhten Komplexität des Verhaltens und in ihrer Entwicklungsgeschichte.

Die Linien der Trockennasenaffen und ihrer Schwestergruppe, der Feuchtnasenaffen (Strepsirrhini), haben sich vor etwa 63 Mio. Jahren getrennt. Nur etwa 5 Mio. Jahre später, das ist aus geologischer Sicht nur eine sehr kurze Zeit, zweigte sich die Teilordnung der Tarsiiformes von den anderen Haplorhini ab. Dies könnte die primitiven Merkmale der Koboldmakis erklären, weshalb sie in früheren Systematiken zu den primitiveren Feuchtnasenaffen gezählt wurden.

Die Gruppe der Omomyiformes sind eine ausgestorbene Teilordnung der Primaten, von der man annimmt, dass sie sehr eng mit den Koboldmakis (Tarsius) verwandt waren und somit als die primitivsten Trockennasenaffen gelten können. Bei dem erst 2009 bekanntgegebenen Fund Darwinius massillae aus der Grube Messel in Deutschland könnte es sich um den frühesten, der Wissenschaft bekannten Trockennasenaffen handeln.

Der Rest der Trockennasenaffen gliedert sich in zwei Teilordnungen: Platyrrhini (Neuweltaffen oder Breitnasenaffen) und Catarrhini (Altweltaffen oder Schmalnasenaffen). Zusammen bilden sie die Gruppe der Echten Affen (Anthropoidea). Die Neuweltaffen trennten sich vor ungefähr 40 Mio. Jahren von den Altweltaffen, aus denen schließlich vor ungefähr 25 Mio. Jahren die Menschenaffen (Hominidae) hervorgingen. Die aktuelle Theorie geht davon aus, dass dieses Ereignis in Afrika stattfand, jedoch sind einige Wissenschaftler der Meinung, dass diese Denkweise revidiert werden müsse, besonders nach drei Neuentdeckungen von anthropoiden Fossilien (Bugtipithecus inexpectans, Phileosimias kamali und Phileosimias brahuiorum) in den Bugti Hills in Pakistan.

Aus kladistischer Perspektive werden Menschen und ihre ausgestorbenen zweibeinigen Vorläufer (Australopithecinen und einige andere) im Stamm der Hominini zusammengefasst. Diese wiederum gehören zusammen mit den knöchelgehenden Menschenaffen (ehemals Pongiden) zur Familie Hominidae, da jedes Mitglied über alle Merkmale verfügt, die kennzeichnend für diese Familie sind. In ähnlicher Weise gehören alle Menschenaffen (einschließlich Menschen), groß oder klein, lebend oder ausgestorben, aufgrund der biologischen Merkmale, die sie miteinander teilen, zu den Trockennasenaffen im Allgemeinen und zu den Altweltaffen im Speziellen.


Systematik


Literatur

Groves C. 2005. Wilson D. E., & Reeder D. M. ed. Mammal Species of the World. 2 Bde: A Taxonomic and Geographic Reference (3rd ed.). Johns Hopkins University Press.

Rylands A. B., and Mittermeier R. A. 2009. The Diversity of the New World Primates (Platyrrhini). In: Garber P. A. , Estrada A. , Bicca-Marques J. C., Heymann E. W., Strier K. B. South American Primates: Comparative Perspectives in the Study of Behavior, Ecology, and Conservation (Developments in Primatology: Progress and Prospects). New York: Springer.

[1] Pollock, J. I.; Mullin, R. J. (1987). "Vitamin C biosynthesis in prosimians: Evidence for the anthropoid affinity of Tarsius". American Journal of Physical Anthropology 73 (1): 65–70. DOI: 10.1002/ajpa.1330730106

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