Kiemenfüßer


Kiemenfüßer

Drei Salinenkrebse, einer davon mit Eiern

Systematik
Überstamm: Häutungstiere (Ecdysozoa)
Stamm: Gliederfüßer (Arthropoda)
Unterstamm: Krebstiere (Crustacea)
Klasse: Kiemenfußkrebse (Branchiopoda)
Ordnung: Kiemenfüßer
Wissenschaftlicher Name
Anostraca
G. O. Sars, 1867
Familien
  • Artemiidae
  • Branchipodidae
  • Chirocephalidae
  • Streptocephalidae

Die Kiemenfüßer (Anostraca) stellen eine Ordnung innerhalb der Krebstiere dar. Weltweit sind aus dieser Gruppe 185 Arten bekannt, die vornehmlich in Reliktlebensräumen wie Salzseen, Austrocknungsgewässern oder Polargewässern zu finden sind. Bekannte Arten sind der Salinenkrebs (Artemia salina) aus Binnensalzseen, Branchipus stagnalis (Vorkommen nur im Sommer in Tümpeln) und der Feenkrebs (Eubranchipus (Siphonophanes) grubii; Vorkommen in Schmelzwasser- und Auentümpeln ausschließlich im Frühjahr).

Bau der Kiemenfüßer

Die Kiemenfüßer erreichen eine Körperlänge von etwa 15 bis 30 Millimetern, die größten Arten können maximal 10 Zentimeter lang werden. Der Körper ist gestreckt und besteht neben dem Kopf aus einem Vorderkörper (Thorax), der die Blattbeine trägt, sowie einem extremitätenlosen Hinterleib (Pleon). Das letzte Segment (Telson) endet in zwei langen Schwanzanhängen, die eine Furca bilden.

Der Kopf der Tiere ist relativ kurz und trägt nur einen sehr unauffälligen Kopfschild, da der Rand desselben nicht zu erkennen ist. Die 1. Antenne ist röhrenförmig und ungegliedert. Auch die 2. Antennen sind ungegliedert und bei den Geschlechtern unterschiedlich aufgebaut (Sexualdimorphismus). Bei den Männchen bilden sie eine große Zange, die bei der Kopulation zum Festhalten des Weibchens dient. An der Basis der Antenne entspringt außerdem ein geweihartiger Fortsatz, dessen Funktion bislang nicht geklärt werden konnte. Bei den Weibchen ist die 2. Antenne normal entwickelt und kurz. Die Mandibel trägt keinen beinartigen Anhang (Palpus), die 2. Maxille ist nur sehr klein ausgebildet.

Die 11 Beinpaare des Thorax (bei einigen Arten auch 17 oder 19) sind blattartig und flach. Sie sind nicht durch Gelenke gegliedert und bestehen aus einem Basisteil (Protopodit), an dem im Wesentlichen die Schwimmäste sowie mehrere kleinere, blattartige Erweiterungen (Endite und Exite) ansetzen. Auch der äußere Beinast (Exopodit) ist flach und blattartig, der innere Ast ist mit der Basis verschmolzen. Zwischen den beiden Beinreihen bildet sich eine Nahrungsrinne. Der Schlag der Beine ist immer metachrom, das heißt er wandert wellenartig von einem Bein zum anderen, beginnend mit dem letzten Beinpaar. Dadurch können sich Partikel zwischen den Beinbasen fangen und werden durch Borsten an den Enditen ausgefiltert und in eine zentrale Rinne gefegt und durch den sich bildenden Unterdruck nach vorn gesaugt. Dadurch und durch die Bewegung der Beine gelangen diese Partikel dann in den Mundraum. Auf diese Weise werden Nahrungsaufnahme und Fortbewegung gekoppelt, ähnlich wie bei den Cephalocarida und den Krallenschwänzen.

Fortpflanzung und Entwicklung

Die Kiemenfüßer sind getrenntgeschlechtlich. Dabei besitzen die Weibchen einen deutlich hervorstehenden Eisack an der Bauchseite der letzten Thoraxsegmente (Segmente 12 und 13). Die Männchen besitzen paarige Penisse am 12. Segment sowie die bereits erwähnte 2. Antenne, die zu einem Greiforgan umgewandelt ist. Zur Kopulation ergreift das Männchen ein Weibchen von unten mit der 2. Antenne und führt seine Penisse in die Geschlechtsöffnung des Weibchens ein.

Die Eier der Kiemenfüßer sind trockenresistent und können teilweise Jahre ohne Feuchtigkeit überdauern (Artemia salina-Eier sind im Aquarienhandel erhältlich). Dabei bilden die Embryonen Cysten („encystierte Gastrulakeim“) aus, die außerordentlich unempfindlich sind gegen starke Hitze, Strahlung sowie verschiedene Lösungsmittel. Aus den Eiern schlüpfen Nauplius-Larven, die über mehrere Häutungen die Gesamt-Segmentzahl sowie alle anderen Adultmerkmale ausbilden.

Systematik der Kiemenfüßer

Frühjahrs-Feenkrebs, Eubranchipus grubii

Aufgrund des spezifischen Baus der Extremitäten und vor allem aufgrund der funktionellen Verbindung der Nahrungsaufnahme und Fortbewegung durch diese "Turgorextremitäten" werden die Kiemenfüßer in die Blattfußkrebse beziehungsweise der Ostraca (Blattfußkrebsartige und Höhere Krebse) angesiedelt und stellen hier als ursprünglichste Gruppe die Schwestergruppe zu allen anderen Vertretern dar.

Die in Mitteleuropa vorkommenden Vertreter der Kiemenfüßer werden auf mehrere Familien aufgeteilt, die im folgenden Schema dargestellt werden.

  • Kiemenfüßer - Anostraca
    • Artemiidae
    • Streptocephalidae
      • Streptocephalus torvicornis
    • Branchipodidae
      • Echter Kiemenfuß - Branchipus schaefferi
      • Tanymastix stagnalis
    • Chirocephalidae
      • Chirocephalus diaphanus
      • Frühjahrs-Feenkrebs - Eubranchipus (Siphonophanes) grubii

Weiterführende Literatur

  • P. Ax: Das System der Metazoa II. Ein Lehrbuch der phylogenetischen Systematik. Gustav Fischer Verlag, 1999.
  • H. E. Gruner: Klasse Crustacea. In H. E. Gruner (Hrsg.): Lehrbuch der Speziellen Zoologie, Band I, 4. Teil: Arthropoda (ohne Insecta). Gustav Fischer Verlag, 1993
  • H. K. Schminke: Crustacea, Krebse. In Westheide, Rieger (Hrsg.): Spezielle Zoologie Teil 1: Einzeller und Wirbellose Tiere. Gustav Fischer Verlag, 1997
  • D. Walossek: The Upper Cambrium Rehbachiella and the phylogeny of Branchiopoda and Crustacea. Fossils and Strata 32, 1993: 1-202

Weblinks

Commons: Anostraca – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Die News der letzten Tage

24.09.2023
Biodiversität | Insektenkunde
Streetlife: Insektenvielfalt auf Berliner Mittelstreifen
Das Museum für Naturkunde Berlin beobachtet seit 2017 im Rahmen des Projektes „Stadtgrün“ die Insektenvielfalt auf den Grünflächen der Mittelstreifen ausgewählter Straßen in der grünen Hauptstadt Europas.
23.09.2023
Anthropologie | Genetik
Studie zur genetischen Geschichte der Menschen Afrikas
Mithilfe von Erbgutanalysen moderner Populationen ist es einem internationalen Forschungsteam gelungen, die komplexen Abstammungsverhältnisse verschiedener in der angolanischen Namib-Wüste ansässiger Bevölkerungsgruppen besser zu erforschen.
22.09.2023
Bionik, Biotechnologie und Biophysik | Evolution | Neurobiologie
Der Quallentrainer
Quallen können aus Erfahrungen lernen, ähnlich wie der Mensch oder andere komplexe Lebewesen – das hat jetzt ein Team von Biologinnen und Biologenaus Deutschland und Dänemark gezeigt.
20.09.2023
Biodiversität | Citizen Science | Ethologie | Vogelkunde
Das Erfolgsgeheimnis steckt im Verhalten
Während viele Arten gerade zahlenmäßig und hinsichtlich ihres Verbreitungsgebiets drastisch zurückgehen, scheinen andere gut zu gedeihen.
19.09.2023
Land-, Forst-, Fisch- und Viehwirtschaft
Vitamine vom Dach
Obst und Gemüse wird heute über Tausende von Kilometern nach Deutschland transportiert.
19.09.2023
Land-, Forst-, Fisch- und Viehwirtschaft
Optimierte Kakaobestäubung für höhere Erträge
Wie lässt sich der Anbau von Kakao durch die richtige Bestäubungstechnik verbessern?
18.09.2023
Mikrobiologie
Stinkender Schleim: Wohlfühlort für Würmer und Mikroben
Kieler Forschungsteam untersucht am Beispiel von Fadenwürmern in einem naturnahen Kompost-Experiment, welchen Beitrag Wirtslebewesen und Mikroorganismen zur gemeinsamen Anpassung an einen neuen Lebensraum leisten.
18.09.2023
Anthropologie | Evolution | Neurobiologie
Evolution der sprach-relevanten Hirnstrukturen aufgedeckt
Sprache ist ein Aspekt, der uns zu Menschen macht.
18.09.2023
Mikrobiologie | Taxonomie
Darmmikrobe produziert stinkendes Giftgas, schützt aber vor Krankheitserregern
Taurin abbauende Bakterien beeinflussen das Darmmikrobiom, so ein internationales Team von Wissenschafter*innen unter der Leitung des Mikrobiologen Alexander Loy von der Universität Wien.
17.09.2023
Insektenkunde | Ökologie
Dieselabgase schädigen Insekten: erstmals Auswirkungen auf Hummeln erforscht
Der Rückgang der Insekten bedroht weltweit viele Ökosysteme - Während die Auswirkungen von Pestiziden gut erforscht sind, fehlte es bisher an Erkenntnissen über die Folgen anderer anthropogener Schadstoffe.
17.09.2023
Mikrobiologie | Toxikologie
Wie man Giftschlangen auf den Zahn fühlt
Nicht nur in den Tropen führen Schlangenbisse zu gefährlichen Vergiftungen – auch Bisse europäischer Giftschlangen können ernste körperliche Beschwerden hervorrufen.
16.09.2023
Evolution | Paläontologie
Langzeitseen als Motor für die Evolution von Süßwasserschnecken
In Millionen Jahre existierenden Langzeitseen entwickelten Süßwasserschnecken im Laufe der Erdgeschichte eine besonders große Vielfalt an Arten.